Äthiopien – oder wie ein Land systematisch in den Hunger geriet

Ist es nicht merkwürdig, dass die Informationen von Herrn Chossudovsky in unserer Spiegel/BILD Presse keinen Widerhall fand?


(Michel Chossudovsky)

Chossudovsky weist nach, wie sich einzelne Firmen überstaatlicher Organisationen bedienen, um ihre eigenen Kapitalinteressen zu Lasten von ganzen Ländern zu verwirklichen.

Könnte es aber sein, dass die Firmen austauschbar sind? Könnte es vielleicht sein, dass unsere Geldordnung deren Handeln regelrecht erzwingt, einfach weil es sich „lohnt“ und schicke Mehrwerts erwirtschaftet werden können?

Dieser Frage geht das Buch leider nicht nach. Das ist schade.

Dennoch ist die Lektüre unendlich traurig. Denn Äthiopien ist nur beispielhaft.
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Die von IWF und Weltbank aufgezwungene „Wirtschaftstherapie“ ist zu einem großen Teil verantwortlich für den Ausbruch der Hungersnöte und für die soziale Verwüstung in Äthiopien.

Sie hat der bäuerlichen Wirtschaft vernichtenden Schaden zugefügt und Millionen von Menschen verarmen lassen.

In Komplizenschaft mit US-Regierungsstellen haben diese Organisationen auch US-Biotech-Unternehmen die Möglichkeit gegeben, traditionelles Saatgut und Kulturpflanzen zu enteignen und unter dem Deckmantel von Katastrophen- und Hungerhilfe die Einführung ihres eigenen, genetisch modifizierten Saatgutes zu betreiben.

Krise am Horn von Afrika und die Verheißung des „freien Marktes“

Mehr als acht Millionen Menschen in Afrika – 15% der Bevölkerung des Landes – lebten nach den Reformen in Hungergebieten. Die Löhne in den Städten brachen zusammen, und arbeitslose Saisonarbeiter auf dem Land und landlose Bauern wurden in erbärmlichste Armut getrieben.

Ohne nähere Analyse machen die internationalen Hilfsorganisationen allein klimatische Faktoren für das Ausbleiben der Ernte und die darauf folgende Katastrophe verantwortlich.

Was die Massenmedien nicht offen legen, ist die Tatsache, dass – ganz unabhängig von der Trockenheit und dem Grenzkrieg mit Eritrea – mehrere Millionen Menschen in den blühendsten Ackerbauregionen ebenfalls Hunger litten.

Ihre Not ist nicht die Konsequenz von Getreidemangel, sondern die der „freien“ Märkte und der „bitteren Medizin“, die IWF und Weltbank ihnen durch ihr Strukturanpassungsprogramm verordnet haben.

In Äthiopien kam 1991 nach einem langen und zerstörerischen Bürgerkrieg eine Übergangsregierung ins Amt. Nach dem Sturz des sowjetfreundlichen Regimes von Oberst Mengistu Haile Mariam wurde hastig ein von vielen Gebern finanziertes „Rettungs- und Wiederaufbauprogramm“ aufgelegt, um die annähernd neun Milliarden Dollar Auslandsschulden in Griff zu bekommen, die sich während er Mengistu-Regierung aufgetürmt hatten.

Äthiopiens Außenschulden beim Pariser Club wurden im Tausch gegen weitreichende Wirtschaftsreformen umgeschuldet. Mit Unterstützung des US-Außenministeriums verordnete der IWF dem Land die übliche bittere Medizin zur Gesundung der Wirtschaft.

Gefangen in der Zwangsjacke von Schulden und Strukturanpassung, verpflichtete sich die neue Übergangsregierung unter Führung der Ethiopian People’s Revolutionary Democratic Front (EPRDF) trotz der marxistischen Überzeugungen ihrer Führer auf durchgreifende Marktreformen. Für Washington wurde Äthiopien neben Uganda bald zum Vorzeigeland für freie Märkte im Afrika nach dem Kalten Krieg.

Während der Sozialetat im Rahmen der Strukturanpassung zusammengestrichen wurde, vervierfachten sich die – teilweise aus dem frischen Geldsegen der Entwicklungskredite finanzierten – Militärausgaben seit 1989.

Da Washington beide Seiten des äthiopisch-eritreischen Grenzkrieges unterstützte, stiegen die US-Waffenverkäufe sprunghaft.

Die Beute teilten sich die Waffenproduzenten und die Konzerne der Agarindustrie. In der Ära nach dem Kalten Krieg sicherten sich die Agrarkonzerne das einträgliche Geschäft, Nothilfe an kriegsverwüstete Länder zu liefern. Aufgrund der wachsenden Militärausgaben, die mit geborgten Geld finanziert wurden, floss nun die Hälfte der äthiopischen Exporterlöse in den Schuldendienst.

In Washington entwarfen IWF und Weltbank im Namen der Übergangsregierung ein politisches Rahmenpapier, das genau die von Äthiopien zu ergreifenden Maßnahmen festlegte und zur Unterzeichnung durch den Finanzminister nach Addis Abeba geschickt wurde.

Die darin festgelegten strengen Sparmaßnahmen Sparmaßnahmen schlossen praktisch die Möglichkeit eines sinnvollen Wiederaufbaus und der Wiederherstellung der verwüsteten Infrastruktur des Landes nach dem Krieg aus.

Die Gläubiger verlangten die Liberalisierung des Handels und eine umfassende Privatisierung der öffentlichen Versorgungsunternehmen, Finanzinstitute, staatlichen Farmen und Fabriken.

Wie so oft wurden auch hier Staatsbedienstete auf die Straße gesetzt, die Löhne eingefroren und die Arbeitsgesetze annuliert, um es den Staatsunternehmen zu ermöglichen, ihre überschüssigen Arbeiter loszuwerden. Währenddessen wucherte die Korruption.

Die Beratungsfirma Price Waterhouse Coopers wurde mit der Aufgabe betraut, den Verkauf von Staatseigentum zu koordinieren, das an ausländisches Kapital zu Billigpreisen versteigert wurde.

Spenden als strategische Investitionen

Nach dem Muster der 1991 in Kenia durchgeführten Reformen wurde der äthiopische Agrarmarkt bewusst zugunsten der Agrarkonzerne manipuliert.

Die Weltbank verlangte die schnelle Aufhebung der Preiskontrollen und aller Subventionen an die Bauern. Die Transport- und Frachtpreise wurden dereguliert, was die Nahrungsmittelpreise in entfernten, von Dürre betroffenen Gegenden in die Höhe trieb.

Der Markt für landwirtschaftliche Einsatzgüter wie Düngemittel und Saatgut wurde privaten Händlern übergeben, darunter Pioneer Hi-Bred International, das mit dem staatlichen Saatgutmonopolisten Ethiopia Seed Enterprise (ESE) eine lukrative Partnerschaft einging.

Zu Beginn der Reformen in Äthiopien „spendete“ die US-Entwicklungshilfebehörde USAID große Mengen US-Dünger im Tausch gegen Marktreformen:

„Verschiedene landwirtschaftliche Produkte werden zur Verfügung gestellt im Tausch gegen eine Reform des Getreidemarktes … und die Beseitigung von Nahrungsmittelsubventionen … Die Reformagenda konzentriert sich auf Liberalisierung und Privatisierung im Düngemittel- und Transportsektor im Tausch gegen die Finanzierung von Düngemitteln und den Import von Lastwagen … Diese Initiativen haben uns ein Entrée verschafft …, um auf wichtige politische Fragen Einfluss zu nehmen.“

Die Vorräte an gespendetem US-Dünger waren bald erschöpft, trugen aber dazu bei, lokale Düngemittelproduzenten zu verdrängen. Dieselben Unternehmen, die sich im Düngemittel-importgeschäft engagierten, kontrollierten über lokale Zwischenhändler auch den heimischen Düngergroßhandel.

Kommerzielle Farmen und bewässerte Anbauflächen, wo Dünger und ertrgreiches Saatgut eingesetzt worden waren, konnten ihre Ernten steigern. Insgesamt führte die Hilfe jedoch zu größerer wirtschaftlicher und sozialer Polarisierung auf dem Land. Auf den weniger ertragreichen marginalen Anbauflächen sanken die Ernteerträge der armen Bauern erheblich. Und dort, wo die Erträge gestiegen waren, befanden sich die Bauern nun in der Umklammerung der Saatgut- und Düngemittelhändler.

1997 gab das Carter-Center in Atlanta – das aktiv den Einsatz von Gentechnik in der Maiszucht fördert – stolz bekannt, dass „Äthiopien zum ersten Mal zu einem Nahrungsmit-telexporteur“ geworden sei (76). Doch die grausame Ironie war, dass die Kreditgeber die Auflösung von Getreidenotreserven anordneten, die nach der Hungersnot von 1984 bis 1985 angelegt worden waren. Die äthiopischen Behörden fügten sich.

Statt die Getreidenotreserven des Landes aufzustocken, exportierte Äthiopien Getreide, um seinen Schuldendienstverpflichtungen nachzukommen. Annähernd eine Million Tonnen der Ernte von 1996 gingen in den Export – ein Quantum, das nach den Zahlen der FAO bei weitem ausgereicht hätte, um den Getreidemangel von 1999 von 2000 auszugleichen.

Tatsächlich wurden die gleichen Grundnahrungsmittel (vor allem Mais), die exportiert worden waren, ein paar Monate später wieder reimportiert. Der Weltmarkt hatte die Getreidereserven Äthiopiens konfisziert.

Zum Ausgleich wurden US-Überschüsse von genetisch verändertem Mais – der in der EU verboten ist – in Form von Nahrungsmittelhilfe am Horn von Afrika verteilt. Die USA hatten einen bequemen Mechanismus gefunden, um ihre Lager von genmanipuliertem Getreide zu entsorgen. Die Konzerne kauften nicht nur die äthiopischen Exporte auf, sondern verdienten auch noch an der Bereitstellung von Hilfslieferungen von Getreide zurück nach Äthiopien: Während der Hungersnot von 1998 bis 2000 erhielten Giganten des Getreidehandels wie Archer Daniels Midland und Cargill Inc. einträgliche Aufträge für Maislieferungen.

Genmanipulierte Hilfslieferungen und patentiertes Saatgut

Die in kriegsverwüsteten Ländern abgestoßenen US-Getreideüberschüsse dienen auch dazu, die Landwirtschaft armer Länder zu schwächen. USAID „spendete“ 1999 und 2000 etwa 500.000 Tonnen Mais und Maisprodukte an Hilfsorganisationen, darunter das World Food Programme, das eng mit dem US-Landwirtschaftsministerium zusammenarbeitet.

Mindestens 30 Prozent dieser Lieferungen, die von US-Agrarkonzernen beschafft wurden, bestanden aus überschüssigen Beständen genetisch manipulierten Getreides.

Befördert durch den Grenzkrieg mit Eritrea und das Elend von Tausenden von Flüchtlingen, floss so kontaminierte Nahrungsmittelhilfe nach Äthiopien, die den einheimischen Genpool und die Kulturpflanzen des Landes bedrohte. Die Hilfslieferungen dienten den Nahrungsmittelgiganten gleichzeitig als Einfallstor, um die Kontrolle über Ähtiopiens Saatgutbanken zu erringen. „Afrika“, so stellte die Umweltorganisation Biowatch Südafrika fest, „wird ls Mülleimer der Welt behandelt … Ungetestete Nahrungsmittel und Saatgut spenden ist kein Akt der Freundlichkeit, sondern ein Versuch, Afrika noch weiter in die Abhängigkeit von ausländischer Hilfe zu locken.“

Darüber hinaus floss ein Teil der Nahrungsmittelhilfe in das Programm „Nahrung für Arbeit“, das dazu diente, die heimische Produktion noch weiter zugunsten von Getreideimporten zu schwächen. Im Rahmen dieses Programmes wurden verarmte und landlose Bauern im Tausch gegen gespendeten US-Mais zur Arbeit in ländlichen Infrastrukturprojekten herangezogen.

In der Zwischenzeit ging das Einkommen kleiner Kaffeebauern schlagartig zurück.

Während Pioneer Hi-Bred (natürlich eine DuPont Firma) sich in der Saatgutverteilung und -vermarktung positionierte, drang die Cargill Inc. durch ihre Tochter Ethiopian Commodities in den Markt für Getreide und Kaffee ein.

Bei den über 700.000 Kleinbauern mit weniger als zwei Hektar Land, die zwischen 90 und 95 Prozent des äthiopischen Kaffees produzierten, führte die Deregulierung der landwirtschaftlichen Kredite in Verbindung mit geringen Abnahmepreisen zu steigender Verschuldung und Landlosigkeit, besonders in Ostgojam, dem Brotkorb Äthiopiens.

Die Agrarkonzerne eigneten die traditionelle Saatgutvielfalt Äthiopiens an (Gerste, Teff, Kichererbsen, Sorghumhirse usw.), veränderten sie genetisch und ließen sich die veränderten Sorten patentieren: „Statt Entschädigung und Respekt bekommen die Äthiopier heute … Rechnungen von ausländischen Unternehmen, die sich einheimische Arten ‚patentieren‘ ließen und nun Bezahlung für ihre Verwendung verlangen.“

Die Grundlagen dafür hatte das Privatisierungsprogramm von IWF und Weltbank gelegt, das auch auf eine „wettbewerbsfähige“ Saatgutindustrie zielte.

Das staatliche Saatgutmonopol Ethiopian Seed Enterprises schloss sich mit Pioneer Hi-Bred zusammen, um an Kleinbauern hochgezüchtetes und genetisch verändertes Saatgut zusammen mit Herbiziden zu verteilen. Die Vermarktung des Saatgutes wurde mit finanzieller und technischer Hilfe der Weltbank auf ein Netzwerk privater Subunternehmer und Saatgutfirmen übertragen.

Der traditionelle Tausch von Saatgut unter den Bauern sollte im Rahmen des Weltbankprogramms durch ein marktorientiertes System „privater Saatgutproduzenten und -verkäufer“ ersetzt werden.

Das landwirtschaftliche Forschungsinstitut Äthiopiens wiederum arbeitete mit dem internationalen Zentrum zur Verbesserung von Mais und Weizen (CIMMYT) zusammen, um neue Kreuzungen zwischen mexikanischen und äthiopischen Maissorten zu entwickeln.  Gegründet in den 40er Jahren von Pioneer Hi-Bred International mit Unterstützung der Ford- und Rockefeller-Stiftungen, stand das CIMMYT von Anfang an in enger Beziehung zum US-Agrarbusiness.

Zusammen mit dem britischen Norman Borlang Institute fungiert es als Forschungsarm und Sprachrohr der Saatgutkonzerne. Der Rural Advancement Foundation zufolge verdienen US-Landwirte „bereits jedes Jahr 150 Mio. Dollar durch den Anbei von Gerstensorten, die aus äthiopischen Stämmen entwickelt wurden. Doch niemand in Äthiopien schickt ihnen eine Rechnung.“

Die Auswirkungen der Hungersnot

Die Hungersnot von 1984 und 1985 hatte die traditionellen äthiopischen Kulturpflanen und Satgutreserven ernsthaft bedroht. Als Reaktion darauf legte das damalige Mengistu-Regime durch sein Pflanzenforschungszentrum und in Zusammenarbeit mit der einheimischen NGO Seeds of Survival ein Programm zur Bewahrung der äthiopischen Artenvielfalt auf.

Dieses Programm, das unter der Übergangsregierung fortgesetzt wurde, verband geschickt „die Bewahrung und Verbesserung der Feldfrüchte in den ländlichen Gemeinden mit unterstützenden Diensten des Staates“. Unter Beteiligung von etwa 30.000 Bauern entstand ein ausgedehntes Netz mit Standorten auf Höfen und geschützten Flächen. 1998, gleichzeitig mit dem Ausbruch der Hungersnot von 1998 bis 2000, ordnete die Regierung die Beendigung des Programms an.

Das versteckte Ziel war die Verdrängung der traditionellen Sorten und Kulturpflanzen aus den dörflichen Pflanzenzuchtanstalten, die durch ein Tauschsystem über 90 Prozent der Bauern mit Saatgut versorgten. Wie die vorangehende bedrohte auch die Hungersnot von 1998 bis 2000 den Erhalt der Saatgutbanken: „Die Getreidereserven, die dieser Bauer normalerweise einlagert, um harte Zeiten zu überstehen, sind aufgebraucht. Wie 30.000 andere Haushalte im Galga-Gebiet hat seine Familie auch die Saatgutbestände für die nächste Ernte gegessen.“ Ähnlich erging es den Kaffeebauern. Hier war die genetische Basis der arabischen Bohnen durch den Zusammenbruch der Erzeugerpreise und die Verarmung der Kleinbauern bedroht.

Die Hungersnot – selbst zu einem großen Teil das Produkt der Wirtschaftsreformen, die IWF, Weltbank und US-Regierung zugunsten von Großkonzernen durchgesetzt haben – hatte also den Effekt, Äthiopiens Artenvielfalt zum Nutzen der Biotech-Firmen zu zerstören.

Die „Schenkungen“ des World Food Program und von USAID begünstigten das Eindringen von Agrar- und Biotech-Konzernen in das landwirtschaftliche Kernland Äthiopiens.

Derartige Notprogramme sind daher nicht die Lösung, sondern die Ursache des Hungers.

Quelle:
Michel Chossudovsky „GLOBAL BRUTAL – Der entfesselte Welthandel, die Armut, der Krieg“ S. 159 ff
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Hier wird nur beispielhaft eine -ehemals stolze- Nation beschrieben, die in die Fänge der unser Geldsystem nutzenden Oligarchen gerieten und nun Hunger und Elend erfahren.

Die Grammatik dieser Attacken ist immer die gleiche. Und die Akteure sind erfolgreich und wir lassen sie gewähren.

Und hier: Wie Jugoslawien zerstört wurde

Es folgen noch Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien, Iran, Venezuela usw., überall, wo wir unsere gemeinsamen Werte verteidigen und den Völkern mit Waffengewalt Freiheit und Demokratie bringen.

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